Schwarz und weiß

2014-07-11 18-34-06_0032

Wir blättern durch das neue Katzenbuch meiner Tochter, darin sind Perser-Katzen, Siam-Katzen, Sphinx-Katzen und allerlei andere Rassen abgebildet. Die Perser-Katze sei die schönste Katze, sagt sie, die Sphinx dagegen die hässlichste. Wenn man sechs Jahre alt ist, sind die Präferenzen noch klar. Schön ist schön und hässlich ist hässlich. Lange hatte ich mir die Welt genauso aufgeteilt, in schön und hässlich, vor allem aber in deutsch und türkisch, und das bis in die kleinsten Details. Beispielsweise war ich überzeugt, der Gebrauch einer Sonnenbrille sei etwas Deutsches, ins Konzert zu gehen, Skifahren, Zeitung lesen ebenfalls. Türkisch war, sich im Hausflur die Schuhe auszuziehen, Tee zu trinken, Besuch am Wochenende, goldene Armreifen, warmes Abendessen statt Abendbrot.

Ich musste nicht lange überlegen, in welche Kategorie etwas gehörte. Es war klar, welchen Anstrich es bekommen würde. Im wahrsten Sinne des Wortes: Das Wort deutsch ist für mich weiß, das Wort türkisch schwarz. Meine Buchstaben haben Farben, auch die Wochentage, Zahlen, Ländernamen, Städtenamen, Namen von Menschen. Der Mittwoch etwa ist grün, der Dienstag gelb, das Wort Frankreich blau, Stuttgart rot, auch die Zahl zwei ist rot, vier blau, zehn ist weiß.

Mein Mann glaubte mir nicht, als ich es ihm einmal beiläufig erzählte. Er fragte mich ab und notierte sich meine Zuordnung, um bei einer anderen Gelegenheit zu überprüfen, ob ich ihn nicht veräppelt hätte. Ich hatte ihn nicht veräppelt.

Die Synästhesie, so heißt die Verknüpfung von Farben, Zahlen und Buchstaben, ist geblieben. Aber die Zuordnung, was deutsch ist und was türkisch, ist durcheinandergeraten. Mir fiel irgendwann auf, dass meine Freundin Ruth auch abends um zehn zu Hause sein musste, obwohl ihre Eltern keine Türken waren. Olivers Eltern bestanden darauf, dass seine Freunde die Schuhe vor der Tür auszogen. In der Sauna hörte ich zwei Frauen Türkisch plaudern, und einmal sah ich sogar welche auf Skiern. Der Verstand erkannte, dass meine Zuordnung nicht recht funktionierte. Aber es scheint im Hirn eine weitere Instanz zu geben, die sich vom Verstand nichts sagen lässt.

Ich staune noch immer, ganz heimlich und leise, über Türken, die sich im Restaurant kommentarlos ein Schweineschnitzel bestellen oder türkische Bekannte, die mir erzählen, ihre Eltern hätten Pferde, richtige Pferde zum Reiten, nicht solche Gäule wie mein Opa für die Feldarbeit.

Ich kenne Deutsche, die sich die Haare mit Henna färben und tatsächlich auch Türken, die im Kloster ein ganzes Wochenende lang schweigen. Ich bin verblüfft über sie und über mich, weil das Denken in schwarz und weiß so schwer auszutreiben ist. Es ist wirklich nicht meine Schuld, es ist die Synästhesie.


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