Offensichtliche Ungerechtigkeit

2014-07-11 18-20-17_0029Die jungen Frauen, lese ich, wollen keine Feministinnen sein. Wie kann man keine Feministin sein, wenn man eine Frau ist? Kaum, dass ich das gedacht habe, fällt mir die Bemerkung einer Freundin ein: Wie kann man Türkin sein, sagte sie, und sich nicht für die Belange der Türken in Deutschland interessieren? Immerhin hatte sie mir die Türken in der Türkei und in allen anderen Ländern dieser Welt erlassen.

Natürlich kann man Frau sein, ohne Feministin zu sein. Aber wenn man nun davon ausgeht, dass man sich nur um das kümmert, was einen selbst betrifft, so beschäftigen mich die Frauen gerade mehr als die Türken. Es gibt ja auch viel mehr von uns als von uns.

Während der Ausbildung, an der Uni und in den ersten Jahren im Beruf kommt es einem so vor, als spiele das Geschlecht keine Rolle. Wir waren alle Berufsanfänger und alle ehrgeizig. Ich hatte auch den Eindruck, wir Neuen verdienten alle gleich viel, egal ob Mann oder Frau. Die, die Verantwortung tragen und leiten wollten, kamen manchmal voran und bekamen auch mehr Geld. Das störte diejenigen aber wenig, die es nicht auf eine leitende Position abgesehen hatten. Sie fanden es schlicht gerecht.

Dann kamen die Kinder, und nichts mehr war gerecht. Das war es zwar vermutlich auch davor schon nicht, aber nun wurde es offensichtlich. An dem Tag, an dem man mit den Kollegen den Beginn des Mutterschutzes feiert, weiß man noch nicht, dass man sich gerade in die 1950er-Jahre verabschiedet.

Das begreift man erst, wenn das Kind da ist, der Mann oder Freund wieder zur Arbeit geht und man im Nachthemd an der Tür steht und sich ein Abschiedsküsschen gibt. Was mache ich hier eigentlich?, dachte ich. Fehlt nur noch, dass ich ihm das Aktentäschchen hinterhertrage. Beweise, wie ungerecht es zugeht, findet man jeden Tag in der Zeitung und mit steter Regelmäßigkeit Anfang März. Es sind die Frauen, die den verfluchten Haushalt machen, die nach der Geburt der Kinder – wieso Kinder? Es reicht schon eines – gar nicht mehr oder nur noch tageweise in ihr Büro zurückkehren und nie wieder soviel verdienen wie ihre Kollegen.

Es sind die Frauen, die die Babys zum Schlafen durch die immergleichen Straßen schieben, am Klettergerüst stehen, die Eingewöhnung in der Kita durchstehen und die Kleinen fortan jeden Tag um 16 Uhr dort abholen. Bei den Elternabenden, bei den Kuchenbasaren, beim Ausflug – natürlich gibt es dort auch Väter. Aber in Kindergärten und den Schulen scheint die Welt nur aus Kindern und Frauen zu bestehen. Wiedereinstieg in den Beruf, Teilzeit, Altersarmut – als ich mit Mitte zwanzig meine erste Stelle bekam, waren das Sorgen, die mich mit Gewissheit nie betreffen würden. Jetzt betreffen sie mich, und ich kann es nicht glauben. Worauf warten wir noch? Wir sind so viele. Die Türkin in mir ist vorn mit dabei.


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