Mein Leben mit Führerschein

2014-05-16 11-57-18_0002Seit einundzwanzig Jahren habe ich einen Führerschein, seit sechzehn Jahren fahre ich nicht selbst. Das ist das Schöne an Berlin, man kann sehr viel und weit umherkommen – ohne ein Auto.

Meine Freunde nahmen ihre ersten Fahrstunden, da waren sie keine 18, aber an ihrem Geburtstag wollten sie ihren Führerschein haben. Mit zwanzig war ich die Letzte, die sich in der Fahrschule anmeldete – und dann als Allerletzte fertig, weil ich die Fahrprüfung nicht einmal, sondern viermal machen musste. Dreimal durchfallen, einmal bestehen, macht inklusive autogenes Training bei der Krankenkasse und Fahrschulwechsel viermal. Nachdem ich den Mist hinter mich gebracht hatte, wollte ich gar nicht mehr Auto fahren. Meine Eltern aber fanden, nachdem sie ein Vermögen in meine Fahrstunden gesteckt hätten, wäre es erst recht Verschwendung, wenn der teuerste Führerschein der Familie auf dem Amt vergammelte. Ich sollte viel fahren, um meine Angst loszuwerden, also holte ich meine Eltern von der Arbeit ab oder fuhr in der Nacht meinen besten Freund aus der Kneipe nach Hause, weil ich nur zwei Gläser Orangensaft, er aber sechs Hefeweizen getrunken hatte. Vor dem Haus seiner Eltern stellte ich den Motor ab und hoffte, er würde mich endlich einmal küssen, aber er wollte immer nur reden. Zum Kuss kam es nie. Hätte ich ihn an einem bierseligen Abend geküsst, hätte ich die folgenden zehn Jahre meines Lebens nicht geglaubt, ich wäre immer noch in ihn verliebt.

Nun ist er verheiratet, mit einer anderen und Vater. Und ich – glaube ich jedenfalls – nicht mehr in ihn verliebt. Er hat auch ein Auto, immer schon gehabt, ganz im Gegensatz zu mir. Ich habe noch immer keines, der alte Berlingo, der in unserer Straße steht, gehört meinem Mann. Neulich musste ich mich doch einmal ans Steuer setzen. Wir hielten in der zweiten Reihe, mein Mann sprang aus dem Auto in die Reinigung, hinter mir hupte jemand und machte Zeichen, ich solle ein Stück vorrollen. Die Kinder klammerten sich ängstlich an ihre Kindersitze. Einen Moment lang, wusste ich nicht mehr, welches der drei Pedale die Kupplung war. Der Kerl hinter mir hupte wieder, die Kinder schrien: „Du darfst das nicht.“ Wenigstens heulten sie nicht, man hätte meinen könne, ich wollte sie entführen.

Meine Mutter hat ihren Führerschein gemacht, da war ich zehn und sie 30. Statt stolz auf sie zu sein, schämte ich mich, dass sie in ihrem fortgeschrittenen Alter meinte, einen Führerschein machen zu müssen. Bis dahin hatte ich geglaubt, sie könne gar nicht Autofahren, nicht nur weil sie eine Frau war, sondern, weil sie nicht rauchte.

Ich rauche nicht, fahre nicht Auto, und meine Kinder erzählen jedem, ich würde nicht Autofahren, weil ich den Weg nie fände. Das ist leider wahr. Da hat auch der Führerschein nicht geholfen.


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