Guck mal, was ich kann

Für eine Wand im Hauseingang meiner Elternwerde ich ein Bild malen. Die Nashörner, die dort hängen habe ich vor Jahren gemalt und schon als das Bild gerahmt an die Wand kam, dachte ich, richtig gut sind sie nicht geworden. Den Rahmen hatte mein Vater in seiner Werkstatt aus dünnen Leisten geleimt, die Ecken sind nicht passgenau, man sieht einen Spalt und darin den Leim, getrocknet zu einem durchsichtigen Klumpen.

Meine Mutter sagt, sie möge das Bild, nichts anderes habe ich erwartet. Sie betrachtet mich noch immer mit dem Blick einer Mutter im Wochenbett, die ihr Baby nicht nur wunderschön findet sondern noch in Begeisterung darüber ausbricht, dass es schon das Fäustchen zum Mund führen kann. Mein Vater sagt, er sehe das Bild seit Jahren nicht mehr. Für ihn ist es mit dem Rauputz an der Wand verschmolzen. Auch das ist nicht überraschend, mein Vater sieht gut und sieht dennoch nichts. Wenn ich ihn durch die Zimmer gehen sehe, erkenne ich an seinem Gesichtsausdruck, dass er wieder irgendetwas sucht. Manchmal lasse ich ihn suchen. Er soll einmal etwas ganz alleine finden. Wie groß muss die Freude sein, wenn er die Zeitschrift, die er eben noch in der Hand hatte, ohne fremde Hilfe wiederfände. Verrate ich ihm, dass sie neben der Kaffeemaschine liegt, geht er hin, nimmt sie sich und verschwindet in seiner Werkstatt, ohne darüber zu staunen, was ich alles kann.

Ich habe das Bild im Eingang abgenommen und in den Keller gebracht. Mein Vater fragt: „Was ist denn hier passiert?“ Fehlen ihm plötzlich die Nashörner? „Welche Nashörner?“ Egal, ich hätte ihn gar nicht fragen brauchen. Ihn stört, dass die Wand plötzlich so kahl ist.

Im Baumarkt lasse ich mir eine dünne Sperrholzplatte zuschneiden. Haben die Seitenlängen ein Verhältnis von 1:3 zueinander, tut das dem Auge gut, aber als ich beim Zuschnitt endlich an der Reihe bin, kann ich so schnell nicht im Kopf ausrechnen, wie das mit dem Verhältnis 1:3 geht, wenn eine Seite 1,50 Meter werden soll. 1,20 Meter sage ich zum Mann an der Säge, und hoffe, dass es schon hinkommen wird.

Wenn man selbst nur knapp 1,60 groß ist, lässt sich ein knapp zwei Quadratmeter großes Brett schlecht vor der Brust tragen. Ich lege es wie ein Segel auf den Kopf und sage mir, dass meine Urgroßmutter sicherlich so den Wassereimer von der Quelle nach Hause getragen hat, als mich der Wind fast vom Boden hebt. Schließlich stelle ich es auf meinen Schuh, halte es links und rechts fest und humple Schritt für Schritt über den Parkplatz.

Als mein Vater nach Hause kommt, ist die Sperrholzplatte weiß grundiert und lehnt zum Trocknen an der Wand. „Ist das neu?“, fragt er. „Ja. Gefällt’s dir?“ Er stutzt nicht einmal. „Ist nicht schlecht geworden“, sagt er. Ich habe ihn falsch eingeschätzt. Im Grunde seines Herzens findet er toll, was ich alles kann.


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