Gespräche aus der Unterwelt

2014-08-21 11-40-58_0037Eine Menge Stürze hat unser Telefon schon überlebt, den letzten nicht. Im Schrank habe ich tatsächlich noch mein altes Telefon gefunden. Damit habe ich nicht gerechnet, weil ich fast alles verschenkt habe, was doppelt war, nachdem mein Mann und ich zusammengezogen waren. Das Telefon braucht nur neue Batterien, schon geht es wieder. Es sieht aber so fremd aus in meiner Hand, ich habe es kaum wieder erkannt. Die gespeicherten Nummern darin auch nicht. Tastendruck für Tastendruck gehe ich die Namen durch.

Wer ist Katrin? Kannte ich einmal jemanden, der Katrin hieß? Meine ich mit Anna meine neue Anna oder die, die einmal bei mir im Haus gewohnt hat? Mit Britta habe ich mich vor Jahren zerstritten und rede seither kein Wort mehr mit ihr. In meinem alten Telefon sind all ihre Nummern gespeichert, bei der Arbeit, zu Hause, auch die ihres Freundes. Ob sie mit dem noch zusammen ist? Eine Zeitlang haben wir uns jeden Tag gesehen, aber geblieben sind nur die Nummern. Corinna wohnt schon lange nicht mehr in Berlin, und Ingo ist nach vier Jahren in Bremen für ein Jahr nach München und nun wieder zurück nach Berlin gezogen. Die Nummer meines Mannes ist nicht gespeichert. Wieso nicht? Ich werde ihn wohl sicher einmal angerufen haben, bevor ich mit ihm zusammengezogen bin und ihn geheiratet habe. Da bin ich mir sogar sicher. Denn schon da merkte ich, dass er meinem Vater ähnlich ist. Der telefoniert auch nicht gern.

Es sind noch alte Nachrichten auf dem Anrufbeantworter gespeichert. Mein Mann und ich stehen zusammen am Schreibtisch und hören sie ab. Ich hoffe, dass nichts Verfängliches darauf zu hören ist, und zum Glück ist nichts dabei. Dennoch wird mir ganz mulmig. Es ist als spräche jemand aus der Unterwelt zu uns. Ein ehemaliger Arbeitskollege, der eine Wochenendschicht tauschen möchte. Meine Mutter. Jemand von der Bank. Es ist unheimlich, um sieben Jahre zurückgeworfen zu werden und Nachrichten vom 24. März 2006 zu hören, die so frisch und doch so normal klingen, als wären sie von heute Morgen. Seit vielen Jahren hebe ich meine Terminkalender auf, sie sind mein kleiner Tagebuchersatz, weil ich denke, dass es schön sein muss, zu wissen, was man am 4. Februar, oder sagen wir, am16. Juni gemacht hat. Aber es ist überhaupt nicht schön.

Die letzte Nachricht ist von Britta, die mich fragt, ob ich eine Wasserwaage hätte. Entschuldigt hat sie sich damals nicht, ich meine nicht wegen der Wasserwaage. Uns hat ein langwieriger Streit mit Vorwürfen, ein wenig Illoyalität, viel Geschrei, Tränen, Tratsch und vielen, vielen Anschuldigungen auseinandergebracht. Jetzt werde ich anrufen und sehen, was die Wasserwaage macht. Worum es eigentlich ging, geht weder aus ihrem Anruf noch aus meinem Terminkalender von 2006 hervor.


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