Der Mann im Haushalt

Als sich meine Eltern gerade selbstständig gemacht hatten, wurde meine Mutter von ihren Freundinnen bemitleidet. Besonders von Waltraud. „Jetzt hast du deinen Mann den ganzen Tag um dich, jetzt ist er den ganzen Tag zu Hause.“ Im Keller ihres Hauses richtete sich meine Mutter eine kleine Schneiderei ein, mein Vater polsterte nebenan Möbel. Davor hatten sie über zwanzig Jahre zusammen in einer Möbelfirma gearbeitet. Er in der Polsterabteilung, sie in der Näherei. Sie fuhren morgens gemeinsam hin, stempelten ihre Karten, verschwanden in ihren Abteilungen, aßen gemeinsam zu Mittag, trennten sich wieder für ein paar Stunden, fuhren gemeinsam nach Hause, verbrachten den Abend gemeinsam und schliefen im selben Bett. Sie sahen sich genauso viel wie jetzt, aber damals bemitleidete Waltraud sie wenig.

„Wie hältst du das nur aus“, fragte sie meine Mutter. Waltraud graute es davor, dass ihr Mann in absehbarer Zeit in Pension gehen und dann auch tagsüber zu Hause sein würde. „Der läuft mir jetzt schon dauernd vor den Füßen herum.“ Meine Mutter sagte, mein Vater und sie sähen sich gar nicht so oft, das glaubte Waltraud nicht. „Hilft er dir wenigstens bei der Hausarbeit“, fragte sie. Meine Mutter nickte, doch das glaubte ihr Waltraud erst recht nicht, kein Wunder.

Meinen Vater bei der Hausarbeit zu erwischen, ist noch immer nicht leicht. Früher ließ er, sobald es an der Tür klingelte, alles aus der Hand fallen, was nach Putzgerät aussehen könnte. Inzwischen ist er gelassener geworden. Man sieht ihn durchaus mit dem Staubsauger durch die Wohnung gehen. Der Staubsauger ist laut, er ist ein technisches Gerät, und man macht sich die Hände dabei nicht schmutzig. Auch für Tragearbeiten schämt er sich nicht mehr: Mülltüten bringt er hinaus und Altpapier, auch mit dem Wäschekorb trifft man ihn an, aber nur, sofern die Wäsche darin sauber und trocken ist. Wäsche, die erst noch sortiert und gewaschen werden muss, muss warten, bis sich jemand anderer erbarmt. Um die Spülmaschine kümmert er sich. Bei meinen Besuchen werde ich jeden Morgen vom Lärm wach, den er morgens um sieben beim Aus- und Wiedereinräumen macht. Aber um die Zeit ist Waltraud selten zu Gast.

Waltrauds Mann ist nun pensioniert worden, seither besucht sie meine Eltern täglich. Sie sitzt in der Werkstatt meiner Mutter und hilft ihr, Reißverschlüsse aufzutrennen oder bügelt Säume um. Wenn meine Mutter nichts für sie zu tun hat, reicht sie meinem Vater Ziernägel, die er einen nach dem anderen um das Sitzpolster eines Stuhls hämmert. Zweimal hat sie für die beiden ein Mittagessen gekocht und hinterher Mittagschlaf auf dem Wohnzimmersofa gehalten. „Warum schläft sie nicht zu Hause?“, flüstert mein Vater. „Dort kann sie nicht schlafen. Ihr Mann ist jetzt immer da und saugt die Wohnung.“


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